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Bavaria sucht die Wahrheit

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Bei der Salvatorprobe am Münchner Nockherberg hat Luise Kinseher in der Rolle der Bavaria den Politikern die Zähne gezeigt und kräftig zugebissen. Im unterhaltsamen Singspiel ringt die CSU – wie immer – um die Macht. Aber wo war eigentlich Edmund Stoiber? Von Torsten Müller

„Meine Damen und Herren, ich darf Sie alle bitten, mit uns zu trinken.“ Der Abend beginnt gemütlich bayerisch und wird zünftig bajuwarisch enden. Luise Kinseher tritt als Bavaria, die feminine Allegorie des Freistaates und weltliches Symbol der bayerischen Staatsräson, auf. Als erste kolossale Bronzestatue der europäischen Kunstgeschichte ziert diese die Münchner Ruhmeshalle und überblickt die Wiesn. Kinsehers Haupt schmückt ein Eichenkranz, das teutonische Bärenfell jedoch hat sie abgelegt und das Schwert durch die Leviten ersetzt. In ihrer Eleganz ähnelt sie mehr der tellus bavarica des Dianatempels im Hofgarten vor der Staatskanzlei, im Geiste jedoch ist sie kein Bauernfreund, sondern Vertreterin der Aufklärung und des Humanismus – sie kommt ohne Hirschfell und Kurapfel aus.

Luise Kinseher ist als Bavaria, als Mama Bayerns, in eine famose Rolle geschlüpft, welche sie in ihrer Vielfalt autoritärer, glaubhafter und abstrakter ausfüllt, als es die Figur des Bruder Barnabas je hätte können. Vor der Ruhmeshalle, die auf der Bühne nachgeahmt ist, darf sie Lob und Tadel verteilen. Sie ist die unangefochtene Alphafrau und von ihrem Sockel herabgestiegen, um mit ihren Kindern ein paar ernste Worte zu wechseln. Als Fastenpredigerin ist das eine Premiere mit Zukunft.

Das größte anzunehmende Restrisiko

Die diesjährige Fastenpredigt ähnelte mehr einem Kabarettabend als einer Predigt, doch war auch die Rolle des Bruder Barnabas schon weit von der Fastenpredigt entfernt, wie man sie aus bayerischen Gemeinden kennt. Wir wissen: Das Medium ist die Aussage.

Wem zuerst das Bier eingeschenkt wird, dem gilt der erste Lacher. Dem Landesvater Horsti, diesem Populisten erster Güte, hat Luise Kinseher den Alkohol aus dem Krug destilliert. Reineres Wasser kann man ihm nicht einschenken: „Du und deine Wandlungsfähigkeit, die waren in Bayern ja schon immer das größte anzunehmende Restrisiko.“ Da lacht fast keiner, obwohl es in Bayern wahrlich kein Wikileaks braucht, um zu wissen, woher der Wind weht. Lachen kann Horsti nur über „seine Witzekassetten: Gesammelte Reden und Ansprachen“. Die Kinseherin stellt fest: „Vom Alpha-Hengst zum Alpha-Wallach“ sei er degeneriert. Kein Bild beschreibt ihn besser!

Stoiber fehlte zum ersten Mal, Faltlhauser auch, Guttenberg, „dem wir hier auf dem Nockherberg immer einen Stuhl freihalten werden – das macht die CSU ja auch“, aber hätte doch kommen können.  „Wenn in der CSU einer einen Fehler macht und das keine drei Milliarden kostet, ist des eh schon ein Fortschritt!“ Jetzt bebt der Saal und es lachen die Amigos über ihre Dossierkultur. “Wenn wir mal ganz ehrlich sind, jetzt ist der KT doch erst wirklich restlos qualifiziert für Bayern, oder? Strauß, Wiesheu, Guttenberg – a Hund is er scho!“ Dieser „adelige Bazi wird wiederkommen mit Kerner und mit der Bild-Zeitung und er wird große Taten vollbringen“, die Straßen einweihen und gleich noch adeln, ist sich Luise sicher.

Herzlos und hinterfotzig

Die Sozialministerin Christine Hadertauer sah sich dem Vorwurf der Herzlosigkeit ausgesetzt. „So begabt, so intelligent – bloß halt net politisch! Manche sagen ‘herzlos’.“ Der Vorwurf, gerade mit den „Ärmsten der Armen“ bösartig umzugehen, steht keinem Politiker gut an. Sich für ein höheres Wohngeld für Hartz-IV-Empfänger in München einzusetzen sei allerdings keine nachhaltige Sozialpolitik, und ihr Widerstand gegen das Betreuungsgeld sei einem tradierten Familienbild sowie dem heraufziehenden Wahlkampf geschuldet. Hadertauer steht am Nockherberg stellvertretend für die Sozial- und Familienpolitik der CSU am Pranger.

Hinterfotzig wird Dr. jur. („oder?“) Markus Söder dargestellt. „Dir hätte man das wenigstens zugetraut“ – das Plagiat. Dass er plötzlich jedoch zum Atomgegner mutierte und nun „in der Menschenkette steht“ allerdings nicht. Auf die Frage, ob er sich denn eigentlich freue, dass der KT weg ist, antwortet Söder gekonnt mit einem Lachen.

Mit Degeto gegen Dioxin

Ilse Aigner, Landwirtschafts- und Verbraucherschutzministerin, wird als „die Christine Neubauer der Hühnerställe“ betitelt. Sie sei einer der „Politiker von denen man glaubt, man brauche sie, weil ihr Unterhaltungswert so groß ist“. Ihr Einsatz im Dioxin-Skandal hatte „Degeto-Qualitäten“ – womöglich wartet auf uns also bald die Pilcherisierung der Politik? „Wie du dich bei deiner Arbeit schmutzig gemacht hast! Mehrere Dirndl hat sie sich bei der Lobbyarbeit schmutzig gemacht und ihre gute Figur aufs Spiel gesetzt, indem sie öffentlich massenweise Eier verspeiste.“ Die Ministerin sei „ungeaignert“ und der lange Arm der Agrarindustrie.

“Die Hendl san doch selber Schuld! Die sind einfach dioxinabhängig, ständig wollen sie mehr Diesel tanken, damit sie schneller wachsen.” – Ein Schelm, wer böses denkt, wenn Aigner im anschließenden Gespräch mit dem Bayerischen Rundfunk bezüglich des Dioxin-Skandals tatsächlich die Verve hat zu sagen: „Ja, aber das ist ja nicht meine Schuld.“

Die Hinterbänkler

Das Fehlen Guido Westerwelles hat die Bavaria nicht gestört, aber „dass wir den Arabern erst Waffen geben und ihnen jetzt den Westerwelle auf den Hals schicken“, das stört die aufgeklärte Humanistin sehr. Der frisch ernannte Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich „mit seinen nur drei Vornamen“ verwirrt die Bavaria, aber auf Nachfrage möchte er in Zukunft „natürlich immer für den Weltfrieden“ reden. Ja, genau. Generalsekretär Alexander Dobrindt wird für seine Werbekampagne eine Kunstfertigkeit attestiert, die an höchste Abstraktion erinnere. Kunstinteressiert zumindest ist auch Wissenschafts- und Kunstminister Wolfgang Heubisch. „Er ist Zahnarzt, der Mann hat sein Hobby zum Beruf gemacht“, kommentiert Kinseher schlagfertig. Gut aus der Affäre gezogen hat sich im wahrsten Sinne des Wortes Georg Fahrenschon. Trotz Bayern LB-Debakel kam er gut davon.

Natürlich wird auch die Opposition nicht verschont. Der SPD, in Bayern traditionell auf schmalem Fuß und unfähig, von den Skandalen der CSU zu profitieren, schlägt die Mama vor, „in die CSU einzutreten und von dort aus mal etwas zu ändern“. Die Grünen wurden wegen ihrer wackeligen Position zu Olympia 2018 angegriffen. Ein Paradox sei es, “wenn man die Olympischen Spiele aus ökologischen Gründen lieber in Pyeongchang hat.“ Sport dürfe man als Grüner nicht mehr machen, denn das sei umweltschädlich.

Die ewige Wiederkunft des Gleichen

Die große Leitlinie der Rede liegt im metaphorischen Ende. Neben den Frauen, gäbe es eine noch viel größere Bedrohung für die CSU: die Wahrheit. „Die Wahrheit wird auch zunehmend zur Gefahr. Welche Chancen in Zeiten von Internet und Wikileaks hat da noch die Lüge? Wenn das nun das Ende von Lug und Trug bedeutet, dann fragt man sich, wie soll man in Bayern zukünftig noch Politik machen?“. Verhaltenes Lachen und Klatschen bei Politik und Geistlichkeit. Es ist der Punkt, an dem der Abend urig bayerisch geworden ist, wo der Bazi entlarvt ist und die Leviten der Bavaria greifen.

„Wir wissen alle, dass das einzige Ziel der CSU die absolute Mehrheit ist, und wenn das erreicht ist, ist nichts mehr mit Erneuerung.“ Seehofer nickt verdächtig zustimmend. „Jedenfalls, die Mama sagt euch eines: Das ist noch nicht die Hölle, das ist erst das Fegefeuer. Aber, bald ist Ostern, und wir alle wissen, was das heißt.“ Der Wahlkampf ebbt ab. Das Lügen geht weiter. Es ist die ewige Wiederkunft des Gleichen.

Die Singspiel-Comedy

Das Singspiel im Anschluss an die Rede wurde bereits letztes Jahr als Fernsehshow inszeniert. Die Autoren Alfons Biedermann und Heiko Wohlgemuth haben als dramaturgischen Rahmen die Verleihung des Awards UDE 2011 gewählt. Das Singspiel geht also weiter den Weg der Comedy und entfernt sich vom ehemaligen Bauerntheater. Nicht jede Textzeile war hier souverän, so dass das Spektakel hin und wieder – gerade in der Hauptrolle des Münchner Oberbürgermeisters Christian Ude (André Hartmann) – seine Längen hatte. Auch war es plump, sich den Eingangswitz von Stephen Colbert zu borgen – zum einen, weil er in Deutschland nicht trägt, zum anderen, weil man sich doch selbst über Plagiate lustig macht.

Die weitere Anmoderation von Merkel-Double Corinna Duhr glänzte allerdings mit einer Anspielung an das opportune Verhalten nach dem letztjährigen KZ-Vergleich von Michael Lerchenberg. „In jedem Breznkorb auf dem Tisch sind Mikrofone befestigt, die alles aufzeichnen. Nur damit diesmal niemand zwei Tage später behauptet, er hätte gar nicht gelacht!“ Die UDE-Preise gehen an den Wutbürger für den besten Volksschauspieler, die Deutsche Ayshe für die beste ausländische Darstellerin, sowie Stephanie zu Guttenberg für die beste First Lady.

The great pretender

Die musikalischen Darbietungen zwischen den Kabaretteinlagen des Wutbürgers (Thomas Müller) über Stuttgart 21 und der deutschen Ayshe (Murat Topal) über Immigration werden zu Youtube-Klassikern avancieren. Zum einen gibt es da das herausragende KT-Medley von Guttenberg-Double Stefan Murr, das er natürlich „selbst geschrieben hat“. „I’m on the highway to hell / It’s hard to say I’m sorry / ’cause nothing lasts forever. / Oh yes, I’m the great pretender.“ Viele werden das ernst nehmen, aber viele glauben auch, der Adel sei nie abgeschafft worden. Auf die Interview-Frage des BR „Willst du, dass er zurückkommt?“ findet Murr die treffende Antwort: „Als Schauspieler schon.“ Die Guttenberg-Schnulze fand schließlich in dem Auftritt von Stephanie zu Guttenberg (Stéphanie Berger) einen weiteren Höhepunkt. Das KT-Medley mit Textzeilen von den Toten Hosen bis zu Queen und Guns ‘n’ Roses war ein erstklassiges Beispiel, wie wichtig das Medium für die Aussage ist. Daran wird sich die Zukunft des Singspiels zu messen haben.

Zum Anderen glänzte Markus Söder-Double Stephan Zinner mit einer Persiflage von „O Sole mio“ und einem Wettstreit mit Guttenberg. Stets tollpatschig mimte Söder den Clown, der neben OB Ude und Horst Seehofer (Wolfgang Krebs) durch das Singspiel führte. Christine Haderthauer (Angela Ascher) hatte ihre Premiere im Singspiel und nahm, wie in der Fastenpredigt, viel Raum ein. Auch Philipp Rösler (Bernhard Wunderlich von der Band Blumentopf) war prominent vertreten. Sigmar Gabriel (Oliver Beerhenke) war zwar stets präsent, blieb jedoch flach, und auch Claudia Roth (Eva-Maria Höfling) kam erst im Finale zur Geltung.

Die unerträgliche Leichtigkeit

Die Reaktionen der Politiker auf Fastenpredigt und Singspiel waren positiv, aber seicht. In der BR-Runde Sauber Derbleckt war es unerträglich, wie das anscheinend revolutionäre Novum der weiblichen Fastenpredigerin breit getreten wurde. Es wurde über Unterschiede zwischen Männer- und Frauenhumor fabuliert, um die tiefsinnigen Passagen aus Kinsehers Rede als Geschlechter- und Formfrage abzutun, anstatt sie inhaltlich zu deuten. Auch überlagerten Parteienkämpfe sofort die Interpretation und der Abend wurde als leichte Unterhaltung abgetan, die man über sich ergehen lässt.

Dass der Inhalt der Rede bei Politkern und auch Moderatoren sofort wieder vergessen war und man selbst der Rednerin über die Lippen fuhr, stieß nicht nur Luise Kinseher auf, die sich aus der Talk-Runde elegant abmeldete. Sie verweigerte die Antworten, schaute gelangweilt drein und auf die Schärfe ihrer Rede angesprochen, langte sie schlicht zur Speiseplatte, um ihren Ausführungen ein weiteres Bild hinzuzufügen: „Jetzt habt’s ihr die ganze Zeit gegessen, jetzt würde ich auch gerne mal eine Wurst probieren.“ Diese unerträgliche Leichtigkeit im Politbetrieb sollte einem nicht Wurst sein.

Hier geht es zum Nockherberg-Dossier.


Die Bildrechte liegen bei Matthew Black (Paulaner-Glas, Creative-Commons-Lizenz), Paulaner Brauerei München (Kinseher) oder sind gemeinfrei (Bavaria).
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