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Vier Beckenbauer sind ein Maradona

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Wer ist der allerletzte Held?

Wer sind unsere Helden? Wie gehen wir mit ihnen um? Und wie sammelt man sie eigentlich? Der Kabarettist Helmut Schleich sucht die Antworten. Von Tobias Oberndorfer und Patrick Riordan

Unerwünschte Kriegsheimkehrer, prügelnde Pfaffen, luschige Landesväter. Die Heldenbilder aus vergangenen Tagen wollen in unserer Gesellschaft nicht mehr recht passen. Brauchen wir heute noch Helden und wollen wir sie überhaupt? Und wenn ja, wie sehen sie aus?

Der Kabarettist Helmut Schleich hat sich all diese Fragen gestellt und sein aktuelles Bühnenprogramm Der allerletzte Held darauf aufgebaut. In der Rolle des Hartmut Schlauch, der Helden sammelt und tauscht, wie andere Panini-Bilder von Fußballstars, führt er durch den Abend. Er wartet auf einen eBay-Verkäufer von dem er den allerletzten Helden für seine Sammlung ersteigert hat. Treffpunkt ist ein Heldendenkmal – wie passend!

Mittenwald ist nicht Masar-i-Scharif

Weil dieser ihn warten lässt hat Schlauch die Zeit seine Erfahrungen im Heldensammeln mit dem Publikum zu teilen. Dabei begegnen ihm neben einer guten Hand voll schräger Vögel unter anderem die Franz Josef Strauß-Büste aus der bayerischen Staatskanzlei, der Papst zu Gast bei Ottis Schlachthof und ein mehr als ratloser unbekannter Steinmetz.

Dieser Handwerker aus Walpertsried hat den Auftrag besagtes Heldendenkmal um einen weiteren Eintrag, neben „1914-1918“ und „1939-1945“, zu erweitern: „2003-woaß-ma-net“. Er sieht sich und seine Zunft in vorderster Front dabei, dem Dank des Vaterlandes Ausdruck zu verleihen. Doch wie lassen sich „kriegsähnliche Zustände“ in Marmor meißeln? Wie sieht ein solches Denkmal aus? Und wie kommen die Gebirgsjäger in Afghanistan eigentlich an Schweineleber? Schwierig.

Helmut Schleich als Franz Josef Strauß beim Starkbieranstich am Nockherberg 2010

Mit Stühlen auf Spatzen werfen

Und es wird nicht leichter: Der unter Druck geratene Papst Benedikt XVI. stellt sich den kritischen Fragen Ottfried Fischers zu Missbrauch, Brüdern und der Kirche im Allgemeinen. Mit beeindruckendem schauspielerischen Imitationstalent schafft es Schleich den Zuschauer keine drei Sekunden darüber im Unklaren zu lassen, wer gerade spricht. Entsprechend unverkennbar fragt Otti Fischer, ob die Kirche noch ein zeitgemäßes Vorbild sei oder, in den Worten der Bundesagentur für Arbeit, schon „schwer vermittelbar“?

Der Papst flüchtet sich in Ausreden: So sei die Verwaltung mit Beschwerden von zwei Teilnehmern der Kreuzzüge und dem Aufarbeiten der Inquisitionsakten ausgelastet. Dies provoziert die Frage, ob dies alles denn noch der Wille Gottes sein könne. Antwort: „In einer universellen und großen Kirche, wie der katholischen, ist natürlich auch der Wille Gottes nur eine Einzelmeinung.“ Amen.

Schutzpatron der Demagogen und Wirtschaftskriminellen

Ein Highlight des Abends war das Gewissen der CSU – die sprechende Büste von Übervater Franz Josef Strauß. Spätestens seit Schleichs überragendem Auftritt beim Singspiel auf dem Nockherberg 2010 ist seine Strauß-Imitation legendär. Wortgewaltig poltert dieser über die „Horde wildgewordener Wichte in der heutigen CSU“, die sich auf eine Koalition mit dem „politischen Wurmfortsatz“ FDP einlassen musste: „ein Contradictio in Verbis“. Diese „farblosen Politschlümpfe“ hätte er nicht einmal zum Brotzeitholen geschickt.

Dem „Modelleisenbahn-Machiavelli“ Seehofer und dem „Zwiebackgesicht“ von Guttenberg fehle das Format echter Staatsmänner. Er habe wenigstens noch richtige Affären gehabt und mit viel Einsatz in „New Yorker Puffs“ seine „globale Spezlwirtschaft“ vorangetrieben. Armes Bayern: keine Helden weit und breit.

Handwerker an der Heimatfront: „Für Guttenberg gibt’s vielleicht einen Marmorsockel“

Der allerletze Held – ein Feigling!

Weitere Helden des Abends sind eine herrlich-schräge Do-It-Yourself-Hausfrau, die aus Margarine, Gelatine und Himbeermarmelade erstklassige Lippenstifte herstellt, ein übergewichtiger Hungerkünstler, ein übereifriger Feng-Shui-Kontrolleur und ein grandios gespielter greiser Gesangslehrer, der schon Jopi Heesters das Singen beigebracht hat.

Am Ende des Programms schließt sich der Kreis, als Schlauch vom eBay-Verkäufer in seinen Ausschweifungen unterbrochen wird. Ernüchterung stellt sich ein: Den allerletzten Helden hat dieser nicht dabei. Es gibt ihn gar nicht und im Zweifel müsse sich jeder selbst der letzte Held sein. Dass das schwierig wird, wird mit der Evolution begründet. Wegen der historisch schon immer hohen Sterberate der Helden sei es einfach viel wahrscheinlicher, dass die meisten von uns von Feiglingen abstammen.

Schleich liefert mit seinem Programm Typenkabarett auf hohem Niveau. Jede der Figuren kommt dank seiner hohen Schauspielkunst authentisch beim Publikum an. Dass der Bezug zum Heldenthema dabei nicht immer klar herauskommt, stört angesichts beeindruckender Mimik und teils derbem Witz gepaart mit überzeugenden Personenimitationen kaum.

Tourdaten:
09.6. München, Stadtbibliothek Harthof
10.6. München, Schlachthof
11.6. Donaueschingen, Jugendmusikschule
23.6. München, Lustspielhaus
14.7. Nürnberg, Gostner Hoftheater
(Stand: 06.05.2010, Terminänderungen vorbehalten)


Weiterführende Links:

Lustspielhaus

Helmut Schleich


Die Bildrechte liegen bei Thomas Merk (Schleich auf Bierbank) und den Autoren.
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